Eine Lederkutte darf auch von der Stange kommen. Wir stellen die wichtigsten Modelle vor
Es war die Jeansweste, mit der alles anfing, denn die Wurzeln der Bikerszene liegen im sonnigen Kalifornien. Irgendwo mussten die großformatigen Rückenabzeichen ihren Platz finden, auch unter großer Hitze, und so trennten die kalifornischen Biker die Ärmel ihrer Jeansjacken ab. Das war die sogenannte „sleeveless denim vest“. Kein Biker nannte sie bei diesem sperrigen Namen, manche sagen noch heute lieber „Weste“, andere sollen stattdessen „cut off“ gesagt haben, und manch andere erklären so die Entstehung des deutschen Begriffs, den wir immer noch benutzen: Kutte.
Das Schema einer typischen Onepercenter-Kutte mit Top-Rocker, Bottom-Rocker, Side-Rocker, Clublogo, MC-Patch und Funktionsbezeichnungen
Der Wanderstock des Bikers
Wir können das nicht mehr nachprüfen. Über die Entstehung der Kutte hatte niemand Akten angelegt. Tatsache ist, dass auch unsere Szene zunächst abgeschnittene Jeansjacken als Kutten verwendete. Sie wurden reichhaltig mit Patches und Nieten und den Funktionsbezeichnungen ihres Trägers zugepflastert. Der President trug natürlich auch ein Schild mit diesem Titel auf der Brust. Manche schmückten ihre Kutte sogar mit Trophäen eigener Art, und zwar mit den zerrissenen Patches gegnerischer Clubs, die sie zuvor „aufgelöst“ hatten. Andere trugen neben den eigenen Patches natürlich auch noch die befreundeter Clubs. So erzählten Kutten im Lauf der Jahre das Leben ihres Besitzers, sie wurden zum Wanderstock des Bikers.
Und die Kutte war das Symbol seiner Ehre. Wer den Angehörigen eines gegnerischen Clubs besonders erniedrigen wollte, der zog ihm die Kutte aus. Das konnte keiner auf sich sitzen lassen. Er musste diese Kutte entweder zurückerobern oder einem anderen die Kutte ausziehen und sie zum Austausch anbieten. Bis heute werden sie im Austausch nach eigenen Kursen gehandelt: Eine Prospect-Kutte oder die eines Supporters hat natürlich nicht den Wert der Kutte eines Members.
Getragene Erinnerungen. Dieser Kuttenstil ist selten geworden
Der Dreiteiler der Onepercenter
Der Stil der Kutte wandelte sich. Onepercenter-Clubs räumten sie nach eigenen Systemen auf: Patches anderer Clubs fanden darauf keinen Platz mehr. Stattdessen bildete sich auf dem Rücken der sogenannte „Dreiteiler“ aus, der eigentlich ein Vierteiler ist: Oben der Top-Rocker mit Clubnamen, unten der Bottom-Rocker mit Chapternamen, in der Mitte das Clublogo, und daneben die Buchstaben „MC“ für „Motorcycle Club“. Vorne geben die Kutten auf kleinen Balken über die Funktion oder das Chapter ihres Trägers Auskunft. Ebenso findet dort die 1%-Raute ihren Platz. Dazu kamen die Side-Rocker an der Vorderseite unter den Armen, die entweder ebenfalls eine Chapter-Bezeichnung oder die Namen befreundeter Chapter zeigen.
In den meisten Fällen ist eine Kutte heutzutage aus Leder gefertigt, wir stellen hier auch nur Modelle aus Leder vor. Die Member großer Clubs tragen kaum noch Jeanswesten. Auch die ersten Lederwesten mussten selbst geschneidert werden. Ihr Ursprungsschema bestand aus drei Teilen, mit Lochnieten und Lederschnüren verbunden. Damit konnten sie der Jahreszeit angepasst und auch über dicken Jacken getragen werden.
Dieses Schnittschema eint Onepercenter, die Mitglieder kleinerer Clubs und die freien Biker ohne Clubzugehörigkeit. Weil das zu Verwechslungen führen kann, hatten die norddeutschen Biker jüngst sogar für ihre Kutten demonstriert. Die Polizei hatte in den letzten Jahren immer mal wieder lokal begrenzte Verbote für das Tragen von Kutten nach dem Onepercenter-Schema ausgesprochen.
Jeans oder Leder? Der Trust MC trägt beides, und das Tragen der Jeanskutte wird ganz bewusst als Traditionspflege verstanden
Symbol der Zugehörigkeit
Heutzutage bieten viele Hersteller Konfektionsware an. Die konfektionierte Weste muss nicht schlechter sein als eine Maßanfertigung, aber meistens ist sie billiger.
Jeder Stil, der in der Szene ursprünglich als persönliche Maßanfertigung eingeführt wurde, ist so eines Tages auch schnell von der Stange abzugreifen. Fragt uns also nicht nach jedem Kuttenmodell, das ihr zum ersten Mal auf irgendeinem Foto in der BIKERS NEWS seht, sondern wartet ein halbes Jahr. Nur wenige Stile oder Details sind rechtlich geschützt, aber auch das kann der Fall sein, wie die Kutte der ehemaligen Night Wolves beweist.
Praktischen Wert haben Kutten heute wie damals kaum. Manche Kutten funktionieren immerhin als Windbreaker, wie die Modelle von Icon, weil sie sich bis zum Hals schließen lassen. Andere haben wenigstens verschließbare Taschen, ein Detail, auf das wir besonders Wert legen, damit bei 160 Sachen nicht die Wohnungsschlüssel oder die Kippenschachteln im Straßengraben landen. Auf dem Motorrad nämlich muss die Kutte in jedem Fall ohne Komplikationen getragen werden können.
Eine Kutte der ersten deutschen Generation. Noch war sie aus Jeans und mit unzähligen Nieten und Patches zugetackert. In unserem Buch „Alles über Rocker“ erzählen wir die Geschichte dieser Kutte
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Na ja, und ob ihr sie nun wirklich mit Patches schmückt, bleibt euch überlassen. Es geht ja auch ohne, das genügt als Zugehörigkeitszeugnis für unsere Szene. Nur in einer Ausführung solltet ihr sie niemals tragen: in Signalfarbe. Dann nämlich wäre sie eine Warnweste und keine Kutte.
Text: Michael Ahlsdorf